Der größte und bekannteste Festungsbau in den Masuren / Ostpreußen
Vor dem eigentlichem Saisonbeginn und damit verbundenem Besucherverkehr starteten wir 2010 diesem bemerkenswerten Verteidigungsbauwerk einen Besuch ab.
Durch das „Rastenburger Tor“ mit angrenzender Bastion „Leopold“ gelangten wir bei unserer Erkundung in die ehrwürdige Festung. Dieses Bollwerk hat drei Einlässe als tunnelartige Durchgänge. Dieser Tordurchgang, das „Rastenburger Tor“, ist ca. 20m lang und lässt auch gleich auf die Breite der Außenmauern schließen. Links und rechts im Durchgangstunnel befinden sich Kammern für die damaligen Wachen und deren Bereitschaftsräume. Diese Ausmaße von bis zu 20m Mauerbreite haben die gesamten Außenwände der vordersten, ersten sternenartig angeordneten Verteidigungslinie. Architektonisch ist der gesamte Verteidigungsbau ein einziges Meisterwerk. Die gemauerten Portale, Wehrmauern und Wände lassen die Blicke schweifen und man hat immer das Gefühl irgend etwas zu übersehen, zu verpassen. Alle sich hier befindenden Bastionen sind aufgeschüttete Verteidigungswälle mit Geschützstellungen. Diese befanden sich hinter den am höchsten aufgeschütteten Bereichen. Die Grabenwehr wurde mit Schrappnel - Geschützen gesichert. Sämtliche Außenmauern konnten sich gegenseitig sichern. Die Festung ist eine sternenförmig angelegte Verteidigungsanlage mit einem Festungsgraben um die gesamte Bastion. Stellenweise konnten diese auch geflutet werden. Der Außenring besitzt eine durchgehende Flankensicherung durch Schießscharten für Gewehre und kleinere Geschütze. Aufbauend auf Granitblöcken umgibt der gemauerte Festungsblock mit Erde überdeckt den ganzen Verteidigungswall. Im Festungskessel befinden sich die Gebäude für Ställe, Magazine, eine Artilleriewerkstatt, Kasernen und Unterkünfte, Lazarett, Küche und Verwaltung sowie auch eine Baracke zur Aufzucht und Ausbildung von Flugtauben zur Nachrichtenübermittlung. Interessant an dieser Stelle, das an den Kasernenwänden einige Verteiler zur Stromversorgung mit Glasisolatoren angebracht sind. Leider sind hier einige Bauten aus der Zeit russischer militärischer Nachnutzung die den Gesamteindruck ein wenig verschandeln. In den vorderen Kampfräumen sind alle Fußböden mit Ziegeln ausgelegt. Die Bäckerei der Festung ist ein besonderer „Leckerbissen“. Völlig in Gewölbestil ausgeklinkert hatte sie mehrere große mit Fließen bestückte Backöfen. Die Besonderheit in diesem herrlichen Bauwerk ist der Fußboden. Hier findet man überlall Keramikfließen mit spiegelverdrehten Aufschriften von Vileroy & Bloch.
Eigentlich war der Festungsbau nie wirklich abgeschlossen, und so sieht man dann auch zwischen den wuchtigen Ziegelmauern Bereiche die mit Stahlbeton verstärkt wurden. Sogar eine vierschartige Hartguss Panzerbeobachtungskuppel der Magdeburger Firma Grusso ist bei der Bastion „Leopold“ integriert. In die Kuppel ist das Datum vom 12.08.98 (1898 A.F.) eingestanzt. Entlang der Hohlwege ziehen sich im Innenbereich die Rundbauten für die diensttuenden Wachabteilungen und die vorgezogenen Munitionskammern mit den entsprechenden Munitionsnischen. Weitere Munidepots waren im rückwärtigen Bereich unterirdisch gelagert. Alle Garnisonsgebäude befinden sich unter oder hinter den Erdwällen. Keines ragt über sie hinaus. An einem der Portale ist die Jahreszahl von 1883 zu erkennen. Ein weiterer Durchlass stellte die ehemalige Verbindung zu einem angelegten Kanal dar. Von hier aus wurden Waren und Güter per Lastkahn in der Festung angelandet. Bei diesem Tunnel legten die Boote an und verluden das Transportgut auf eine Schmalspurbahn die dann in das Festungsinnere fuhr und die Versorgungsgüter vor Ort verbrachte. Die Anlegestelle, Reste der Gleise und eine betonierte Rampe sind noch erhalten.
Die Festung hatte den Auftrag der Truppenausbildung und Aufstellung. Die Truppen gingen dann von hier direkt an die Front und es wurden neue Regimenter aufgestellt.
Boyen wurde bekannt durch die Belagerung im ersten Weltkrieg durch die Russen unter General Samasov von der Ostseite her. Die Festung stoppte hier den Vormarsch der Roten Truppen. Die Belagerer schafften es trotz mehrfacher Überlegenheit an Mensch und Material nicht die Festung einzunehmen. Es kam sogar durch den damaligen Befehlshaber der Festung, Oberst Busse mehrfach zu erfolgreichen Ausbrüchen bei denen dem Feind erhebliche Verluste zugefügt werden konnten. Die Festungstore wurden geöffnet und es kam zum Kavallerieangriff auf die völlig überraschten Rotarmisten.
Das Festungsbauwerk beherbergte bis zu 2 500 Soldaten und Angestellte.
Die gesamte Festung Boyen ist komplett zu besichtigen. Bis auf die Bauten aus der Zeit der russischen Nutzung nach Ende des zweiten Weltkrieges ist die Baustruktur noch ziemlich gut erhalten. Im Gegensatz zu der bereits behandelten Festung Josefstadt und Glatz (Josefstadt & Glatz) wurden hier keine Minengänge mehr angelegt. Allerdings sind die einzelnen Kampfbastionen auch unterirdisch verbunden, und die vorgelagerten Wach- und Munikammern natürlich ebenfalls untertage.
Damit endet unser Rundgang und wir verlassen das beeindruckende Festungsbauwerk wieder durch das „Rastenburger Tor“.
Nach Abschluss unserer Tour haben weitere Recherchen ergeben , das die Festung Boyen während des zweiten Weltkrieges die Divisionsabteilungen von General Gehlen, Fremde - Heere - Ost stationiert waren. General Gehlen hatte sein Hauptquartier in einem der Maybach - Bunker - Häuser in Zossen - Wünsdorf. (siehe Zossen / Wünsdorf). Boyen spielte eine wichtige Rolle im Verteidigungssystem Ostpreußens.