GENERAL der Infanterie Freiherr von HAMMERSTEIN
Chef der Heeresleitung

Manöverlehren


“Nachdem im vergangenem Jahr nicht nur die Herbstmanöver, sondern bei vielen Regimentern sogar die Aufenthaltszeiten auf dem Truppenübungsplatz infolge der schwierigen Finanzlage des Reichs ausgefallen waren, konnte die Heeresleitung in diesem Jahr wieder Herbstübungen im freien Gelände abhalten. Der Zwang zur Sparsamkeit nötigte allerdings zu manchen Einschränkungen, die in der zahlenmäßigen Begrenzung der teilnehmenden Truppen, in der geringen Ausstattung mit Übungsmunition und nicht zuletzt in der Auswahl des Geländes nach dem Gesichtspunkt der Vermeidung langer und kostspieliger Eisenbahntransporte zum Ausdruck kamen. Vom 15. bis 17. September 1932 übten die im Osten des Reiches stehenden zwei Kavallerie – Divisionen in Niederschlesien im Raume von Grünberg – Freysadt – Goldberg; an diese Übungen schlossen sich unter meiner Leitung Manöver der 3. Division gegen die in einem Kavalleriekorps zusammengefaßten beiden Kavallerie – Divisionen (1. und 2. KD) an, die sich vom 19. bis 22. September 1932 im Oder – Warthe – Bogen und in der näheren Umgebung von Frankfurt a. O. abspielten.
Über die Notwendigkeit derartiger Herbstmanöver brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Sie bilden immer noch das beste Mittel, Führung und Truppe für den Ernstfall zu schulen. Die geistigen und physischen Anforderungen, die die Herbstübungen stellen, sind ein unbestechlicher Gradmesser Geist, Leistungsfähigkeit und Ausbildungsstand der Truppe. Kein Kriegsspiel und keine noch so gründliche Arbeit am grünen Tisch kann für die höhere Führung die Manöverpraxis mit ihren schnell zu fassenden Entschlüssen und den zahlreichen Reibungen ersetzen. Nur durch alljährliche Herbstmanöver in gemischten Verbänden aller Waffen, lassen sich die Schwierigkeiten, die für die Ausbildung des Reichsheeres aus seiner weitläufigen Verteilung in Standorten mit meist nur einer Waffengattung erwachsen, einigermaßen überwinden. Herbstübungen sind endlich dazu berufen, Brücken des Vertrauens zu schlagen zwischen Volk und Wehrmacht. Kein Heer legt größeren Wert auf dieses Vertrauen als unsere Reichswehr, das durch den Vertrag von Versailles künstlich vom Volkskörper getrennt werden sollte. Der Staatsbürger soll erkennen, welche inneren Werte in einer überparteilichen, von einheitlicher Gesinnung und von den soldatischen Tugenden unserer alten Wehrmacht beseelten Armee stecken, er soll aber auch die äußeren Fesseln kennenlernen, die in Bewaffnung, Organisation und Ausrüstung auf dem Reichsheer lasten. Solcher Augenschein spricht deutlicher als das gedruckte Wort für die Notwendigkeit unseres außenpolitischen Kampfes um die Gleichberechtigung.
Ihr besonderes Gepräge erhielten die diesjährigen Manöver der Heeresleitung durch die Teilnahme verhältnismäßig starker Kavallerie. Nahezu zwei Drittel der deutschen Reiterwaffe waren beteiligt. Nicht ohne Grund! Die Führung neuzeitlicher Kavallerieverbände gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Krieges. In allen Ländern ringt man mit dem Problem  der zweckmäßigen Gliederung und Bewaffnung einer Kavallerie – Division. Die Entwicklung der Luftwaffe und die zunehmende Bedeutung der Heeresmotorisierung stellen die Kavallerie vor veränderte Aufgaben. Das eine haben aber auch die diesjährigen Manöver gelehrt; die Zeit ist noch nicht gekommen, um das Pferd grundsätzlich durch den Motor zu ersetzen. Gewiß ist das Kraftfahrzeug dem Reiter an Schnelligkeit überlegen, an taktischen Beweglichkeit aber ist der Vorteil in vielen Lagen auf seiten des Pferdes. Die oft erörterte Fragestellung “Pferd oder Motor?” findet noch für lange Jahre ihre Antwort; Pferd und Motor. Die Eigenart des Manövergeländes mit seiner Wegearmut, den weit ausgedehnten Forsten, den leicht für Motorfahrzeuge zu sperrenden Seenketten, Bach- und Flußabschnitten hat die taktischen und technischen Grenzen, die der Motorisierung heute noch gesetzt sind, deutlich gezeigt. Dies Erkenntnis mag für uns ein Trost sein, denn der Vertrag von Versailles hat das Reichsheer mit einer im Verhältnis zur Gesamtstärke sehr zahlreichen Reiterwaffe ausgestattet. Wenn deshalb im Zusammenhang mit dem für den Fall der Nichtabrüstung der Siegermächte angekündigten Umbau unserer Wehrmacht in voreiligen Pressestimmen der Heeresleitung die Absicht untergeschoben wurde, die Zahl unserer Reiterdivisionen zugunsten anderer Waffengattungen herabzusetzen, so kann ich derartige Gerüchte nur als völlig unbegründet bezeichnen. Wie meine Amtsvorgänger stehe ich auf dem Standpunkt, dass wir diese Reiterdivisionen im Ernstfalle sehr nötig brauchen, und das es gilt, das beste aus ihnen zu machen.
Das beste auch in materieller Hinsicht! Denn auch eine Reiterwaffe ohne Ergänzung durch den Motor wäre einem neuzeitlich ausgerüsteten Feind gegenüber nur von sehr beschränktem Wert. Bei der Aufklärung und im Nachschub leistet der Motor heute schon gute, schwer entbehrliche Dienste. Die Heeresleitung hat deshalb für die diesjährigen Manöver den Kavalleriedivisionen motorisierte Aufklärungskörper zugeteilt, um auch auf diesem Gebiet taktische, technische und organisatorische Erfahrungen zu sammeln. Die Abwehr derartiger schnellbeweglicher Aufklärungsverbände, die auch über eine beachtliche Feuerkraft verfügen, stellt die Verteidigung durch die empfindliche Bedrohung von Flanke und Rücken vor neue und schwere Aufgaben.
Es wäre verfrüht, über die in dieser Hinsicht erzielten Erfahrungen zu berichten. Die Auswertung der praktischen Manöverversuche erfordert geraume Zeit. Das gilt auch für den tatsächlichen Verlauf der Übungen.
Wohl aber haben die Manöver andere Erfahrungen eindeutig bestätigt. Die uns durch den Vertrag von Versailles aufgezwungene Gliederung der Divisionen entspricht keineswegs den Anforderungen des Krieges. Nicht nur das Fehlen der neuzeitlichen Waffen, Flugzeuge, schwere Artillerie und Kampfwagen, sondern auch die geringen Etatsstärken der Truppeneinheiten, die zahlenmäßige Beschränkung in Waffen, Munition und Ausrüstung zwangen die Übungsleitung zu zahlreichen Aushilfen. Kraftfahrverbände, nachrichten- und Pioniereinheiten mussten aus den entsprechenden Truppenteilen des ganzen Reichsheeres zusammengestellt werden. Feldküchen und Troßfahrzeuge wurden zum Teil mit ermieteten Gespannen von Zivilfahrern fortbewegt. Zahlreiche private Personen- und Lastkraftwagen waren im Nachschub, im Leitungs- und Schiedsrichterdienst tätig.
Das fehlen der modernen Waffen stellte an Leitung und Truppe erhebliche organisatorische und psychologische Anforderungen. Die Darstellung von Bombenangriffen auf Brücken und Bahnhöfe und die Übermittlung der Ergebnisse der Luftaufklärung waren Aufgaben des Schiedsrichter- und Leitungsdienstes. Schwere Artillerie wurde durch leichte Geschütze oder mit Flaggen dargestellt. Attrappen ersetzten Straßenpanzerwagen, Tanks und Kampfwagenabwehrgeschütze.
Mehr als einmal habe ich bei den Zuschauern ein mitleidiges Lächeln über diese Aushilfen gesehen. Der deutsche Soldat lässt sich dadurch nicht beeinflussen. Er weiß, dass dieses Mittel vorläufig die einzige praktische Möglichkeit für die Schulung in der Abwehr dieser Waffen bildet. Der Ernst seiner Berufsaufgabe, die Grenzen des Reiches zu schützen, erleichtert ihm die Überwindung berechtigten Unmutes. Kein Zuschauer wird bemerkt haben, dass der Soldat am Holzgeschütz oder in der Tankattrappe seinen Dienst weniger eifrig versah als der Maschinengewehrschütze, der Kanonier und der Reiter! Mögen böswillige Pressestimmen jenseits unserer Grenzen aus dem auftreten luftbereifter motorgezogener Holzgeschütze eine Verletzung des Diktats von Versailles konstruieren – die Heeresleitung hat keinen Grund, vor der Öffentlichkeit und den eingeladenen Offizieren fremder Mächte gerade dieses Manöverproblem zu verbergen! Sie hat im Gegenteil – und im Gegensatz zu der ängstlichen Geheimhaltung, die andere Staaten bei den diesjährigen Manövern aus durchsichtigen Gründen übten – alles getan, um der Öffentlichkeit eine Urteilsbildung über die Arbeit des Reichsheeres zu erleichtern.
Mit Befriedigung habe ich festgestellt, dass die Truppe den hohen geistigen und körperlichen Anforderungen, die die dreieinhalb Tage kriegsmäßig ohne Unterbrechung verlaufenen Herbstübungen mit sich brachten, in vollem Umfang gerecht wurde. Diese Anforderungen gaben den Manöver den Kriegshauch. Überdurchschnittliche Marschleistungen bei Tag und Nacht, dem Ernstfall entsprechender Munitions- und Verpflegungsnachschub, Ruhe und Rast in den Grenzen, die der Krieg zieht, Flussübergänge und Kampfhandlungen unter verschiedensten Bedingungen: Offizier und Mann, Reiter und Pferd, Fahrer und Motor haben diese Probe gut bestanden.
Die Anteilnahme der Bevölkerung gab der Verbundenheit zwischen Wehrmacht und Volk sinnfällig Ausdruck. Manches Opfer und manche Unbequemlichkeit wurde von den gast- und wehrfreundlichen Bewohnern der Grenzmark willig in Kauf genommen. Und wenn die typische Leere des neuzeitlichen „Schlachtfeldes“ durch Zuschaueransammlungen manchmal ins Gegenteil verkehrt wurde, so wird der Soldat diese „Unnatürlichkeit“ vielleicht verstandesmäßig bedauern, sie aber im Herzen sicher begrüßen!
Politische Hintergründe haben die Auswahl des Manövergeländes nicht beeinflusst. Trotzdem erteilten die Herbstübungen der aus allen deutschen Stämmen zusammengesetzten Truppe politischen Anschauungsunterricht. Sie spürte die Not unserer östlichen Grenzprovinzen, sie sah den Kampf der Landwirtschaft, sie fühlte den seelischen Druck der von übermächtigen Rüstung bedrohten Ostmarken und sie überzeugte sich, dass Straßen und Verkehrswege an der Unrechtsgrenze ins Gras und in Stacheldraht enden.
Der Herr Reichspräsident nahm als Oberbefehlshaber der Wehrmacht an den Manövern teil. Sein Dank und sein Lob wird uns Ansporn für die Arbeit der Zukunft, sein Leben Vorbild im Sinne altpreußischen Soldatentums sein.“

DIE WOCHE
Berlin 29. Oktober 1932
Heft 44 – Sondernummer VOLK & HEER

Im zweiten Teil werden historische Aufnahmen des Manövergeschehens vorgestelt.


Rechtschreibung und Grammatik aus dem Originalartikel übernommen. (Oktober 1932)
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