Langemarck 1914: Massenschlächterei oder Opfergang?

In Flandern stürmten vor 100 Jahren „junge Regimenter“ in den Tod

 

„Langemarck, … das müsste ein Zornruf der deutschen Jugend sein. Eine Rebellion gegen Krieg und kaiserliche Generäle, müsste die deutsche Jugend geschlossen herausrufen zum Generalstreik und zur Generalsabotage gegen jeden Krieg in der Zukunft, der, wenn er kommt, ein noch fürchterlicheres Langemarck für diese ganze deutsche Jugend bedeuten würde!“ So schrieb Ende 1930 die katholische Jugendzeitschrift „Vom frohen Leben“, die dem „Friedensbund deutscher Katholiken“ nahestand und pazifistische Positionen vertrat. Sie wollte „Langemarck“ weder als „Hochtat deutschen Heldengeistes“ noch als „Musterbeispiel soldatischer Tugend“ und schon gar nicht als einen positiven deutschen Mythos gelten lassen. Vielmehr meinte sie: „Der Tag von Langemarck ist vielleicht der dunkelste Tag des Weltkriegs und der schwärzeste Tag der deutschen Führung im Weltkrieg geworden.“

„... unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles´“

Die militärischen Ereignisse, über die so scharf geurteilt wurde, liegen nun über 100 Jahre zurück. Am 10. November 1914 stürmten Soldaten deutscher Reserveregimenter im Frontbogen vor der flandrischen Stadt Ypern gegen kriegserprobte britische und französische Truppen an. Deren mörderisches Maschinengewehrfeuer aus gut ausgebauten Stellungen brachte den stürmenden Deutschen schwere Verluste bei. Der Tagesbericht der Obersten Heeresleitung vermerkte: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles´ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen und nahmen sie.“

Alle deutschen Tageszeitungen hatten die Meldung über die „jungen Regimenter“ von Langemarck auf der Titelseite. Schon bald entstand daraus der Mythos vom Opfergang der studentischen deutschen Jugend vor diesem kleinen flandrischen Ort (in Flandern „Langemark“ geschrieben).

Der Angriff gehört in den Kontext deutscher Bemühungen, den Frontbogen bei Ypern zu begradigen  und Ypern einzunehmen. Zu diesem Zweck wurden frisch aufgestellte und nur unzulänglich ausgebildete Reservekorps herangezogen. Deren Mannschaften setzten sich aus ungedienten Kriegsfreiwilligen, aus eingezogenen Rekruten und nur zu einem geringen Teil aus kriegserprobten Soldaten zusammen. Geführt wurden sie in den meisten Fällen von älteren Reserveoffizieren, denen es an Erfahrung fehlte im Umgang mit Maschinengewehren und hochentwickelter Artillerie. Unter den ungedienten Soldaten dieses Korps befand sich ein erheblicher Anteil von höheren Schülern und Studenten, die in manchen Regimentern sogar dominierten.

„Für sie kein leerer Schall“

Weder Langemarck noch andere Dörfer in der Nähe und schon gar nicht Ypern konnten erobert werden. Aber die Briten waren beeindruckt. In deren Tagesbericht vom 12. November 1914 stand zu lesen: „An diesen Kämpfen haben zuerst die neu gebildeten, größtenteils aus Kriegsfreiwilligen bestehenden Regimentern teilgenommen …
Ungeachtet des Mangels an Offizieren stellten sich diese Knaben unseren Kanonen entgegen, marschierten unbeirrt gegen die Läufe unserer Gewehre und fanden furchtlos scharenweise den Tod. Das ist die Frucht eines Jahrhunderts nationaler Disziplin. Die Kraft der preußischen Kriegsmaschinerie schweißt sie zusammen, damit sie sich für die nationale Existenz einsetzen, und ihr Vorhaben beweist, dass für sie ,Deutschland über alles´ kein leerer Schall ist.“

Der Mythos von Langemarck, in dem aus den jungen Regimentern schon bald  „studentische Regimenter“ wurden, wirkte stark in die nächsten Jahrzehnte hinein. Die deutsche Jugendbewegung, die deutsche Studentenschaft, die Universitäten und das patriotische Bildungsbürgertum tradierten in der Weimarer Republik den Nachruhm der Gefallenen von Lagemarck. Freilich kam der starke mediale Durchbruch erst nach 1928 (zehn Jahre nach Kriegsende), als das Weltkriegserlebnis weit umfassender als bisher die deutsche Öffentlichkeit beschäftigte und eine letztlich positive Wertschätzung von „Langemarck“ sich durchzusetzen begann.

Die Geschichte des Soldatenfriedhofs

Exemplarisch kann man dies an der Ausgestaltung des Soldatenfriedhofs Langemarck verfolgen. Der 1919 gegründete überparteiliche Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge weiht 1924 einen ganz schlicht gehaltenen Soldatenfriedhof auf dem blutgetränkten Boden ein. In den folgenden Jahren fehlte jedoch die nötige Pflege. 1929 alarmierte der ehemalige Frontsoldat und nationalsozialistische Schriftsteller Thor Goote (eigentlich: Dr. Werner Schultze von Langsdorff) die Öffentlichkeit: „Die Kreuze ohne Grab liegen auf einem Haufen gestapelt in einer Ecke. Man las sie wohl auf, weil sie umgefallen waren. Und da sind Kreuze, die verlassen zwischen Trichtern stehen, zwischen Höhlen, aufgewühlten Gräbern, in denen das unerbittliche flandrische Wasser hochsteigt. … Die hier aber liegen … , liegen im flandrischen Schlamm wie ein unverstandenes graues Heer ...“

Von 1930 bis 1932 baute der Volksbund, unterstützt durch die „Langemarck-Spende der deutschen Studentenschaft“, den Friedhof dann zu einer eindrucksvollen Hain - Anlage aus, die 44. 000 Gräber umfasst. Diese Ehrung der Langemarck - Gefallenen entsprach der Auffassung, dass „Langemarck“ ein letztes heroisches Gegenbild zu einem Kampfgeschehen war, das sich zu einem infernalischen Maschinenkrieg entwickelt hatte. Bei einem solchen war eine Sinnstiftung (individuelle und kollektive Begeisterung für die Verteidigung des Vaterlands mit einem Fortwirken des Opfergeistes in die Zukunft) nur noch mit erheblicher Anstrengung möglich, da die umfasslichen Schrecken des großen Krieges dessen völlige Sinnlosigkeit zu erweisen schienen.

Sinndeutung

Die vaterländische Sinndeutung der Weltkriegsopfer und insbesondere der Opfer von Langemarck lebte in der Schlussphase der Weimarer Republik besonders stark auf unter den Jungendbünden. Hans Filbinger, der spätere CDU – Ministerpräsident von Baden – Württemberg, war Führer im katholischen Schülerbund Neudeutschland (ND) und gehörte dem ND – Gau Langemarck an. Dieser hatte sich 1931 vom Altbadengau abgetrennt. Unter der Federführung Filbingers hieß es im „Gaugesetz“ der neu zusammengefassten Gruppen: „Der Gau Langemarck wählte sich seinen Namen zur Erinnerung an die deutsche Jugend, die am 11. November 1914 in Flandern ihr Leben für's Vaterland einsetzte.“ In diesem Satz sind die drei Motive zu erkennen, die den Langemarck Mythos damals inhaltlich ausmachten: Jugend, Opfer und Vaterland.

Vor und nach 1945


Am 29. Mai 1940 hieß es im Wehrmachtsbericht: „Über dem Mahnmal der deutschen Jugend bei Langemarck, dem Schauplatz ihres heldenmütigen Kämpfens 1914, weht die Reichskriegsflagge.“ Der sozialdemokratische Arbeiterdichter Karl Bröger, der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gekämpft hatte, besuchte nun zusammen mit anderen deutschen Dichtern und Schriftstellern den Friedhof Langenmarck. In einem seiner Gedichte heißt es: „Hier sind zur letzten Ruhe gebracht, / und mögen ihre Leiber auch vermodern: / Nie ihr Gedächtnis! ...“

Diesem Wunsch Brögers wurde nach 19145 nicht entsprochen. Die Gefallenen von Langemarck wurden dem Vergessen preisgegeben. Das aber genügte manchen, die in der Sogwirkung der Kulturrevolution von 1968 standen, nicht. Es begann die Entmythologisierung von „Langemarck“. Das fing beim kritischen Bestreiten bestimmter Aussagen an: Die deutschen Soldaten hätten nicht singend angegriffen, das Artilleriefeuer sei viel zu laut gewesen, die Stürmenden seien durch das Laufen zu ausgepumt gewesen: Und es reichte hin bis zur Zerstörung jeglicher positiver Sinndeutung.

In der frühen Bundesrepublik hingegen waren noch andere Töne zu „Langemarck“ zu vernehmen. So führte z. B. Der Schriftsteller Gerhard Nebel in seinem WDR-Rundfunkessay vom 12. November 1956 Beachtenswertes über „Langemarck“ aus. Nebel, in seinen jungen Jahren entschiedener Sozialist, später langjähriger Gesprächs- und Briefpartner Ernst Jüngers, betonte: „Ich kann den doch weithin freiwilligen Tod dieser Jugend nicht begreifen, aber ich weigere mich auch, ihn für gleichgültig zu halten oder ihn gar als Verführtheit zu verhöhnen.“ Nebel gab zu bedenken, „dass eine geschichtliche Gestalt nur so lange dauert, als Menschen bereit sind, für sie ihr Leben hinzugeben“.

2001 hat der Düsseldorfer Weltkriegsexperte Prof. Gerd Krumreich in einem kenntnisreichen Aufsatz über Langemarck darauf hingewiesen, dass im Dritten Reich bei der Darbietung des Langemarck - Mythos „nie spezifische NS - Ideologie dominant“ gewesen sei. „Antisemitismus, Anti – Marxismus, Rassenideologie, Blut und Boden oder neue Raumordnung sind in dieses Ereignis nicht einpflanzbar gewesen.“ Dennoch hält Krumreich Langemarck nicht mehr für geeignet, ein deutscher Erinnerungsort“ (im Sinne der Begriffsbildung des Franzosen Pierre Nora) zu sein. Seine Begründung lässt sich mit den Begriffen „Nazi – Verbrechen“ und „Zerstörung Deutschlands“ zusammenfassen und folgt einem gebräuchlichen Argumentationsmuster.

Inzwischen ist Prof. Krumreich emeritiert. Ein wirklich mutiges Wort eines hochrangigen Sachkenners in Sachen Langemarck wäre gut, um Wissenslücken bei großen Teilen der Öffentlichkeit zu schließen.  

(Manfred Müller)
 

 Gemeinsam Trauern: 1956 wurde auf dem Friedhof von Langemarck die Skulpturengruppe des Bilhauers Emil Krieger errichtet. Den Gefallenen zur Ehre haben sie die Helme abgenommen. Inspiriert hatte Krieger wohl ein Foto, das Soldaten des Rheinischen Reseve-Infanterieregimentes 1918 in gemeinschaftlicher Trauer am Grab eines Kameraden auf dem Friedhof in Bouillonville zeigt (NZ)

                       Denen, die für uns gekämpft, die der Übermacht einer
                     ganzen Welt standgehalten haben im Wasser, zu
                     Lande und in der Luft, und denen, die in feindlicher
                     Gefangenschaft schmachten, gilt unser erster Gruß nach dem
                     Zusammenbruch.

                       Es war alles umsonst.

                       Aber die niedrigste Form der Dankbarkeit ist die, die
                    sich nach dem Erfolg bemißt. Wir wollen sie bemessen
                    nach den Leiden und nach den Leistungen, die übermensch-
                    lich waren und ohne Beispiel in der Geschichte.

                       Uns jetzt Lebenden und unseren Kindern sei die erste
                     Pflicht: Sorgt soviel ihr noch sorgen könnt für die Kriegs-
                     teilnehmer und ihre Hinterbliebenen.

                      Wie alles neu aufgebaut werden muß, weil alles ver-
                    loren ist, so auch die deutsche Ehre. Ihre erste Pflicht sei
                    der Dank an die deutschen Helden.

Aus „Zusammenbruch“, der Dezenberausgabe 1918 der Süddeutschen Monatshefte.

 

Quelle: National - Zeitung 07.11.2014 „Zeitgeschichte“ – Auszüge mit Abbildungen


Weitere Infos:
Ypern - de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Flandernschlacht

Abgetippt: Axel
Team Bunkersachsen 2014

 

 

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