Vor 100 Jahren, am 19. Dezember 1914, fand in Plauen der Kriegsfamilien – Weihnachtstag statt. Der Verkauf von Festtagsabzeichen, Bändern und Postkarten durch 200 junge Damen brachte dem Freiwilligen Wohlfahrtsausschuss von Plauen 10 000 Mark ein. In vielen Wirtschaften fanden zum gleichen Zweck musikalische Veranstaltungen statt. Im Stadttheater veranstaltete der Wohlfahrtsausschuss Theateraufführungen bei voll besetztem Hause. Diese brachte eine stattliche Summe ein. (K.L.)
Quelle: 19.12.2014. Vogtlandanzeiger
Und Frieden im Niemandsland
Weihnachten 1914: Warum die Waffen schwiegen
Heiligabend 1914. Im britischen Schützengraben wird die Weihnachtspost verteilt. Selig lächelt der junge Soldat ob der Grüße aus der Heimat. Schokolade und ein Brief sollen ihm das Fest versüßen. Auf einmal dringen aus der Ferne leise Töne in den Graben. Ein deutsches Lied. Stille Nacht, heilige Nacht. Die überraschten Briten werden andächtig und stimmen auf Englisch ein. Größer könnte kein Gegensatz sein als der zwischen der nun besungenen „himmlischen Ruh' “ und der harten Wirklichkeit an der Front. Der Morgen dämmert, als der junge Brite sich entscheidet, sich den Krieg wenigstens heute an Weihnachten zu entziehen. Jim ist der erste, der seinen Schützengraben verlässt, Otto der erste, der nicht schießt und sich ebenfalls hinauswagt.
Für den englischen Supermarkt Sainsbury's wird seit November dieser Werbefilm ausgestrahlt. „Christmas is for sharing“, lautet die Botschaft. „Weihnachten ist zum Teilen da.“ Sicherlich ist fraglich, ob es sich gehört, die tragischen Ereignisse der Kriegsweihnacht 1914 vor einem kommerziellen Karren zu spannen, doch auf der anderen Seite wird hier auf anspruchsvolle und künstlerisch wertvolle Art ein Erlebnis ins Licht gerückt, dessen Bedeutung uns heute noch zu denken geben darf.
Jim und Otto heißen die Protagonisten in der Weihnachtswerbung von Sainsbury's "Während das Geschehen, das wir in unserer Werbung zeigen, fiktiv ist, haben wir versucht, die Details so originalgetreu wie möglich zu gestalten", erklärt Sainsbury's. "Alles, von den Rangabzeichen auf den Uniformen bis zur Tiefe des Grabens, basiert auf historischen Fakten." Genau wie die Idee dahinter: "An Heiligabend hörten die Männer des Britischen Expeditionskorbs, wie die deutschen Truppen in den feindlichen Schützengräben Hymnen und patriotische Lieder sangen. Botschaften wurden hin und her gerufen und am folgenden Tag, dem Weihnachtstag, eine spontane Waffenruhe arrangiert."(NZ)
„Happy Cristmas, Tommy!“
„Ich würde Dir gerne erzählen können, dass wir den Anfang machten. Doch in Wahrheit schäme ich mich zu sagen, dass Fritz begann. Zuerst sah jemand, wie eine weiße Fahne aus dem gegenüberliegenden Graben gereckt wurde. Dann riefen sie uns aus dem Niemandsland zu: „Happy Christmas, Tommy! Happy Christmas!!“ Nach einem Augenblick der Überraschung schrien einige von uns zurück: „Dir auch Fritz, Dir auch!“. Ich dachte, das war es auch schon. Das dachten wir alle. Aber plötzlich stand einer von ihnen in seinem grauen Soldatenmantel da, mit der weißen Fahne. ,Nicht schießen Jungs!', rief jemand. Und niemand schoss. Dann kletterte noch ein Fritz über den Wall und noch einer. ,Haltet die Köpfe unten', sagte ich meinen Männern. ,Das ist ein Trick.' Aber es war keiner.
Diese Episode stammt aus dem Kinderbuch „The Best Christmas Present in the World“, das der preisgekrönte englische Schriftsteller Michael Morpurgos 2004 mit Illustrationen von Michael Foreman das erste Mal veröffentlichte. Es wurde ins Chinesische, Japanische und Niederländische übersetzt. Die französische Version („La tréve de Noél“) liegt momentan als Neuauflage in Frankreichs Buchhandlungen aus.
Im Mittelpunkt steht der Brief eines britischen Offiziers, der seiner Frau von den Ereignissen der Kriegsweihnacht 1914 berichtet, von seiner Begegnung mit dem Düsseldorfer Hans Wolf, von gegenseitigen Geschenken, Gesprächen, vom Fußballspiel und von einem gemeinsamen Traum. „Ich wünschte Hans alles Gute und sagte ihm, ich hoffe, er werde seine Familie bald wiedersehen, dass das Kämpfen ein Ende habe und wir alle nach Hause können. ,Ich glaube, das will jeder Soldat, egal welcher Seite', sagte Hans Wolf. „Pass auf dich auf, Jim Macpherson. Diesen Moment sollten wir beide nie vergessen,' [….] Wir hatten eine Zeit des Friedens und Wohlgefallens, eine Zeit, die ich wie einen Schatz hüten werde, so lange ich lebe.“
Auch in der Darbietung für die jüngsten Leser verliert die Geschichte nichts von ihrem rührenden Zauber. Was vor allem daran liegt, dass sie auf wahren Begebenheiten beruht, an deren Zeugnissen sie sich orientiert. Frank Sumpter aus der 1st Rifle Brigade erinnert sich: „Dann sprang einer der Deutschen aus dem Schützengraben und rief: ,Happy Christmas, Tommy!' Niemand feuerte einen Schuss ab, ein wahres Wunder, denn bis dahin war einem allein schon ein hochgereckter Finger augenblicklich weggeschossen worden.“
Es gab ihm wirklich, „den kleinen Frieden im großen Krieg“, den Weihnachtsfrieden 1914.
Im Ploegsteert (belgische Provinz Hennegau) finden zum 100. Jahrestag zwischen dem 19. und 21. Dezember verschiedene Gedenkveranstaltungen statt. „Weihnachten 1914 beschlossen die in der Region Comines-Warneton kämpfenden englischen, französischen und deutschen Truppen, die Gefechte für ein paar Tage auszusetzen. Die Soldaten rund um Ploegsteert stimmten Weihnachtslieder an, stellten Weihnachtsbäume entlang der Frontlinie auf, begruben ihre Toten, teilten ihre Mahlzeiten , machten einander kleine persönliche Geschenke und spielten Fußball – und so wurden die feindlichen Truppen ein paar Tage lang Freunde“, schreibt die belgische Tourismusbehörde. Auf dem Programm stehen Inszenierungen der deutschen und britischen Schützengräben mit Darstellern in Originaluniformen, die zwei Tage und Nächte an der Front verbringen. In Saint-Yvon wird eine Gedenkstätte für den Weihnachtsfrieden eingeweiht. Außerdem gibt es ein Fussballspiel mit französischen, britischen, deutschen und belgischen Mannschaften.
Leben und leben lassen
Nun sollte man aber nicht glauben, dass es sich bei diesen Weihnachtsfeiern 1914 im Niemandsland um nur vereinzelte Episoden gehandelt habe. Sicherlich sind die Verbrüderungen rund um den Heiligen Abend 1914 herausragend und dramatisch – und verstellen deshalb ein wenig den Blick auf die kleinen Waffenpausen und persönlichen Friedensangeboten zwischen denen, die eigentlich Feinde sein sollten, aber dieselben Ängste, Nöte und Hoffnungen teilten. An den verschiedenen Fronten, im Westen, im Osten, oder im Süden zwischen Österreichern und Italienern, versuchten die Soldaten bisweilen, die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren, das Gegenüber zu verschonen, so wie man selbst verschont zu werden hoffte. Der britische Historiker Tony Ashworth nannte es „leben und leben lassen“. Er hatte für sein vielzitiertes Buch „Trench Warfare 1914 – 1918“ Tagebücher, Briefe und Erinnerungen vor allem britischer, aber auch französischer und deutscher Frontsoldaten studiert.
„Manchmal entsteht Kooperation dort, wo man sie am wenigsten erwartet“, schrieb der US-amerikanische Politologe Robert M. Axelrod in „Die Evolution der Kooperation“, „Im Ersten Weltkrieg war die Front im Westen Schauplatz grauenvoller Schlachten um wenige Meter Gelände. Andererseits übten die feindlichen Soldaten zwischen diesen Schlachten und selbst während ihres Verlaufs an anderen Stellen der Front quer durch Frankreich und Belgien oft ein verständliches Maß an Zurückhaltung.“ Axelrod zitiert einen britischen Stabsoffizier, der „mit Erschrecken feststellte, dass deutsche Soldaten in Reichweite unserer Gewehre hinter ihren eigenen Linien umhergehen. Unsere Leute schienen davon keine Notiz zu nehmen. Ich beschloss, nach Übernahme der Stellung diese Dinge abzustellen; so etwas sollte nicht erlaubt werden. Diesen Leuten war offenbar nicht klar, dass sie sich im Krieg befanden. Beide Seiten glaubten anscheinend an die Politik des ,Leben und leben lassen'.“
Dieses Prinzip habe es vor allem im Stellungskrieg häufig gegeben, so Axelrod. „Es blühte trotz aller Versuche höherer Offiziere, ihm ein Ende zu setzen, trotz aller Wut, die in den Gefechten entstand, trotz der militärischen Logik des ,Töten oder selbst getötet werden' und trotz der Mühelosigkeit, mit der das Oberkommando jeden lokalen Versuch unterdrücken konnte, eine direkte Waffenruhe zu arrangieren.“ Schon vor der ersten Kriegsweihnacht hatte es ausgedehnte Fraternisierungen gegeben. Durch Schüsse und Signale, alles in allem durch stillschweigende Übereinkünfte arrangierten die Soldaten ihre Waffenruhen. Die von den Stäben angeordneten und leicht zu kontrollierenden Stoßtruppunternehmen machten dieser Praxis ein Ende.
Menschlichkeit
Der britische Philosoph Jonathan Glover greift in seinem Buch „Humanity“ (1999) ebenfalls Verbrüderungen im Ersten Weltkrieg auf. Er zitiert den Dichter und Weltkriegssoldaten Robert Graves (1895 – 1985): „Die Deutschen schienen viel bereiter als wir für dieses ,Leben und leben lassen'“.
Auch die anderen Kriegsjahre erlebten Waffenruhen an Weihnachten. „Die Obrigkeit intervenierte um die Kontakte zu beenden, und Major General Cavan gab ein Memorandum heraus, in dem er ein solches Ereignis beklagte: „Große Teile unbewaffneter Deutscher waren die ersten, die sich zeigten, aber das ist keine Entschuldigung, und ich bedauere den Vorfall mehr als ich ausdrücken kann,“ […] 1916 in Givenchy kam ein deutscher Offizier mit zwanzig Mann aus dem Schützengraben und rief Sachen wie ,Guten Morgen, Tommy, hast du Kekse?' und lud die britischen Soldaten zu sich ein. Zwei britische Offiziere befahlen, dass nicht geschossen werden solle.“ Die beiden erhielten dafür eine Arreststrafe.
Während die Friedensmomente an der Westfront ganz gut erforscht sind und der Waffenstillstand an Weihnachten 1914 zum Gegenstand der kollektiven Erinnerung, und Popkultur geworden ist (2005 im Spielfilm „Merry Christmas“ für das Kino inszeniert), sieht die Sache für die Ostfront anders aus. Allgemein lässt sich feststellen, dass das Hauptaugenmerk der Forschung im Westen lag und für den Osten noch einiges an Quellenstudium und Aufarbeitung zu leisten ist.
„In der privaten Sammlung Jean Claude Fombarons sind Fotos der Verbrüderungen deutscher und russischer Soldaten an der Ostfront überliefert“, schreibt Anna Bohn in ihrem Aufsatz „Vom Feind zum Bruder. Zu medialen Inszenierung der Verbrüderung an der Ostfront im Ersten Weltkrieg“ (abgedruckt in: „Brüderlichkeit und Bruderzwist: mediale Inszenierung des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa“, 2014): „Die Aufnahmen wurden zwischen Frühjahr 1917 und Anfang 1918 gemacht. Sie illustrieren etwa eine Waffenruhe, um die Toten zu begraben, den Ostermontag 1917 oder eine Verbrüderung zu Weihnachten desselben Jahres um das Schild ,Frieden den Menschen auf Erden – Weihnachten 1917“.
(Amelie Winther)
Am 9. Januar 1914 veröffentlichte die Illustrated London News diese Bild: „Sachsen und Angelsachsen verbrüdern sich auf dem Schlachtfeld in der Jahreszeit des Friedens und Wohlgefallens: Offiziere und Männer aus den deutschen und britischen Schützengräben treffen und grüßen sich. Ein deutscher Offizier macht ein Foto von einer Gruppe Feinde und Freunde.“(NZ)
Quelle: National - Zeitung 05.12.2014 „Zeitgeschichte“ mit Fotos
Weitere Infos:
Robert Axelrod, „Die Evolution der Kooperation“
ab Seite 49 -
"Heilig Abend, 1914. An der Kriegsfront beginnen deutsche, schottische und französische Truppen mit den Feierlichkeiten in den Schützengräben. Als ihnen bewußt wird, dass auch ihre Feinde das Fest begehen, beschließen sie nach den monatelangen Grabenkämpfen eine dreitägige Waffenruhe und feiern gemeinsam Weihnachten. Doch die kurzweilige Verbrüderung alarmiert die verschiedenen Heeresleitungen.
Basierend auf einer wahren Begebenheit inszenierte der französische Regisseur Christian Carion ein bewegendes Drama, das durch seine eindrucksvollen Bilder und das hochkarätige europäische Schauspiel - Ensemble besticht.
Der Film wurde 2006 sowohl für den Golden Globe als auch für den Oscar in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ nominiert."
Meine Meinung zum Film: Unbedingt anschauen! Höchste Punktzahl!
Es tut gut den deutschen Soldat einmal nicht als blutrünstigen Menschenschlächter präsentiert zu bekommen. Soldatische Menschlichkeit zwischen Freund und Feind prägen das Geschehen zur Kriegsweihnacht 1914.Sie, die eigentlich zum Töten befohlen waren, wurden Brüder zu jenem "kleinen Frieden im großen Krieg“, den Weihnachtsfrieden 1914.
Derartig ehrliche Filme über Weltkriegsepisoden sind selten und passen so garnicht in die offizielle Geschichtsschreibung. Daher ein großes Lob den Machern und Darstellern.
Bei Servus T V HD Deutschland wurde der Film am 16.12.2014 ausgestrahlt. (A.F.)