Freitag 23. Mai 2014 Zeitgeschehen Freie Presse
Das Thema: Feldpost im ersten Weltkrieg
Lebensader in die Heimat
Briefe und Karten waren vor 100 Jahren für viele Familien die einzige Möglichkeit, Kontakt zu halten. Entsprechend wichtig war die Feldpost. Leser haben der „Freien Presse“ nach einem Aufruf tausende Dokumente geschickt – entstanden ist daraus eine Serie, die am Montag beginnt.
Feldpost (73)
Meine Sehnsucht ist riesengroß
Im Felde 17.12.16
Meine liebe Anne und gutes Lehnchen!
Die herzl. Weihnachtsgrüße sendet Euch aus weiter Ferne Euer Euch treuliebender Papa. Lieber wäre ich selbst zum Weihnachtsfest gekommen, aber weil es nicht sein kann, schick ich Euch dieses Kärtchen.
Auf Wiedersehen im Januar
Viele Grüße an die lieben
Eltern u. Lenel.
Im Felde 7.10.17
Mein liebes Annel u. Lenchen!
Die herzlichsten Sonntagsgrüße u. Küsse sendet Euch, meine Lieben, aus weiter Ferne, Euer Euch liebender Papa. Soeben habe ich auch Deinen lb. Kartenbrief vom 1. Mit übergroßer Freude erhalten, lieber wäre mir natürlich ein großer gewesen, aber ich sehe es schon ein, daß Du noch nicht die rechte Zeit dazu hattest. Meine Sehnsucht nach einen schönen Brief von Dir, liebes Annel, ist jetzt riesengroß. Hoffentlich kommt recht bald ein solcher, sonst werde ich ernstlich böse, hörst Du?
Im Felde 17.11.18
Mein liebes gutes Annel u. Lenchen!
Die besten Sonntagsgrüße u. Küsse sendet Euch, meine lieben, Euer Euch liebender Papa. Soeben habe ich 2. Päckchen mit Wäsche erhalten. Wofür ich Dir herzlich danke. Sonst geht es mir noch gut, u. Hoffe dasselbe auch von Euch. Umstehend ein russisches Wohnhaus in Ponary. In so einem Haus wohnen immer 3 bis 4 Familien. An Dreck fehltÅ› da natürlich nicht.
Sergeant Ottokar Päßler
Zur Post:
Das sind drei Karten aus den Jahren 1916, 1917 und 1918. Geschrieben hat sie Sergeant Ottokar Päßler. Er war Jahrgang 1883 und stammt aus Lobsdorf bei Freiberg. Er hatte gelernt Waldhorn zu spielen, in jungen Jahren, noch vor dem Krieg, trat er als Berufsmusiker in den Militärdienst ein. Er wurde ein sogenannter Hoboist, ein Angehöriger eines Musikkorps. In Kriegszeiten wurden die Musikkorps als Sanitätszüge eingesetzt, und so wurde auch Sergeant Päßler Sanitäter. „Er hat mir berichtet, wie er Verwundete vom Feld holte“. Sagt sein Enkel, R. Eichhorn aus Plauen. Dieser hat die Post der „Freien Presse“ geschickt. Eichhorn ist der Sohn von Lehnchen.
Auffallend ist der eher gleich lautende, unspektakuläre Duktus von Päßlers Post. Als Grund hierfür vermutet Eichhorn, dass nur Karten erhalten blieben. „Die Briefe in denen mein Großvater sich möglicherweise ausführlicher äußerte, haben meine Vorfahren einmal weggeworfen“, sagt Eichhorn. Die Karten hatten es ihm schon immer angetan, sodass er sie aufgehoben und sich die Mühe gemacht hat, sie alle – in moderne Schrift – zu übertragen.
Bei der Übertragung der Briefe wurde die historische Schreibweise weitestgehend beibehalten.
Feldpost (74)
Sende Euch eine Gesamtansicht von Warneton
Im Felde 7.2.17
Meine liebe Anne und gutes Lehnchen!
Sende Euch heute eine Gesamtansicht von Warneton. Hebt sie bitte mit auf, gelt! Wir haben hier immer noch tüchtige Kälte u. Da ist es gewiß bei Euch a
auch noch so. Ich hoffe, nun heute von Dir die erste Nachricht zu erhalten.
Nun sei Du und mein Lenchen tausendmal gegrüßt und geküßt von Deinem
Ottokar.
Viele Grüße an die lb. Eltern u, Lene.
Zur Post:
Das ist ein Leporello, also eine dreiteilige Bildserie. Sergeant Ottokar Päßler hat sie - wie die meisten seiner Karten – ohne viele Worte nach Hause geschickt. Er war Jahrgang 1883, konnte Waldhorn spielen und war noch vor dem Krieg, trat er als Berufsmusiker in den Militärdienst ein. Er wurde ein sogenannter Hoboist, ein Angehöriger eines Musikkorps. In Kriegszeiten wurden die Musikkorps als Sanitätszüge eingesetzt, und so wurde auch Sergeant Päßler Sanitäter. „Er hat mir berichtet, wie er Verwundete vom Feld holte“. sagt sein Enkel, R. Eichhorn aus Plauen. Dieser hat die Post der „Freien Presse“ geschickt. Eichhorn ist der Sohn von Lehnchen (Lenel), die auf jeder Karte mit Grüßen bedacht wird und die Tochter von Ottokar Päßler war.
Ottokar Päßler hat überlebt. Er war als Militärangehöriger, nach dem Krieg zunächst arbeitslos. Er verdiente sich sein Geld als Musiker in Salonorchestern, gab Kurkonzerte und als Theatermusiker in Plauen. Später wurde er Justizsekretär in Plauen. Er starb 1964.
Bei der Übertragung der Briefe wurde die historische Schreibweise weitestgehend beibehalten.
XV. Soldat Alfred Runge, 1891. Verstorben 1919 an den Folgen der Gefangenschaft
Feldpost (75)
Dann lag ich 2 Tage ohne Verpflegung
Hergiswill, d. 29. V. 1916
Liebe Eltern u. Geschwister!
Heute will ich meinem Versprechen nachkommen und Euch einen kleinen Bericht meiner Gefangenschaft geben. Wie Ihr wohl schon durch Willy erfahren habt, sind wir am 16. Sept. 1914 beim Morgengrauen in dem von uns besetzten Dorfe überfallen worden u. Zusammengeschossen u. Mit wenigen Ausnahmen gefangen genommen worden. Wie ich später erfuhr, ungefähr 100 Mann mit sogar meinem Hauptmann. Die näheren Einzelheiten wisst Ihr ja durch Kirbach. Als ich im August vorigen Jahres durch einen Brief von Euch erfuhr, das der Kirbach noch da war, bin ich tage- ja wochenlang nicht darüber weggekommen. Ich hab Ihm ja auch arg zusetzen müssen, dass er aus seinem Heu rauskam u. mich verband! Wenn ich nicht so arg geblutet hätte, würden sie mich ja auch nicht gekriegt haben.
Ein freundlicher Sanitäter erneuerte bei meiner Gefangennahme meinen Verband; u. Dann lag ich 2. Tage ohne Verpflegung in einer Scheune u. Kam dann ganz alleine nach 2tägiger Eisenbahnfahrt im Güterwagen nach Limoges. Hier wurde ich ausgeladen u. noch in der Nacht zum 21. nach Vis tatin gebracht, oben unters Dach, wo schon ungefähr 100 Kameraden lagen u.. man vor lauter Ratten nicht schlafen konnte.
Hier bekam ichs erste Mal einen Verband. Und was machten sie da? Sie banden mir ein Zigarrenkistenbrett als Schiene an den gebrochenen Arm! Natürlich mussten sie ihn mir zweimal wieder auseinanderreißen, eh es richtig angewachsen war! Die haben überhaupt tolle Dinger gemacht! Aber davon später.
Ich sollte dann operiert werden, da meine Hand gelähmt war – sie ist heute noch genau so – kam ich in ein richtiges Krankenhaus: Hospital mixte. Entweder trauten sie sich nicht ran, oder sollte es später in Deutschland gemacht werden, jedenfalls kam ich nach 6 Tagen wieder weg u. Nach der Kaserne Benedictins. Eine richtige Räuberhöhle! Von hier gings (19. Dez.) nach dem 30 km entfernten Saint Yririx. Hier haben schauderhafte Zustände geherrscht. 300 Verwundete haben hier mit ihren eiternden Wunden auf blankem Stroh gelegen, wochenlang, sodass die Würmer im Stroh u. den Wunden gelegen hatten. Ich blieb Gott sei dank nicht lange da, und kam mit einem Transport von rund 400 Mann am 3. Jan. 1915 nach 2täg. Eisenbahnfahrt nach Marseille.
In Limoges hatten sie uns sämtliche Knöpfe von den Waffenröcken abgeschnitten u. Alle Mützen weggenommen, sodass wir überall Hosenknöpfe annähen mussten, deswegen ließ ich mir auch Waffenrockknöpfe schicken.
In Marseille brachten sie uns eine Nacht aufs Fort Sankt Nikolaus u. Den nächsten Tag auf ein Ponton im Hafen zu Marseille, wo wir auf blankes Stroh, oder besser Mist, zu liegen kamen und holten uns grässlich viel Läuse weg. Hier blieben wir bis zum 10. Jan. u. Machten dann eine schreckliche Überfahrt, 2 Tage, eng zusammen gepfercht in einem Käfig unten im Verladeraum. Am 12. kamen wir in Tunis an u. Blieben bis zum 14. da, um von hier nach 6stüd. Eisenbahnfahrt nach Kairouen zu kommen. Hier lagen wir in einer alten Kaserne mit über 600 Mann.
Im allgemeinen war es hier zum aushalten, nur wurden wir von einem Leutnant sehr schikaniert. Von hier gingen dann die Arbeitskommandos weg. Ich war beim letzten, wo die ganzen Krüppel u. arbeitsunfähigen mit mussten, bloß damit die Kopfzahl voll wurde. Der Arzt lehnte jede Verantwortung ab, da nur 23 arbeitsfähig waren unter den 160 Mann. Die Reise ging aber los! In 5 Tagesmärschen 30 km. Jeden Tag die Zelte aufbauen. Auf der blanken Erde nur mit einer Decke liegen! Wir habens ja auch mit Ach u. Krach geschafft; u. Kamen am 5. Tag nach dem sogenannten Zuba. Es war natürlich weit u. Breit nichts zu sehen! Zaghonan lag 18 km. Weit weg.
Die Zelte wurden aufgebaut u. Kamen 16 Mann in eins, sodaß später die Strohsäcke übereinanderlagen. Vorläufig lagen wir mit leerem Sack auf der Erde, bis es uns erlaubt wurde, Laub von den Sträuchern abzustreifen, den Strohsack damit zu füllen. So lagen wir über 14 Tage eh wir jeder eine Handvoll Stroh bekamen“ Das Wasser mussten wir aus einer Zisterne holen, woraus die Araber mit Ziegenhäuten schöpfen u. das voll von Wasserflöhen u. Fröschen war. Davon wurden wir verseucht u. wurden nun viele Fieberkranke, aber es wurde keine Abhilfe geschaffen, bis nicht der erste, Anfang Juni, starb, der im Zelte wie ein Tier verreckte, ohne jede ärztliche Hilfe!
Fortsetzung folgt
Soldat Alfred Runge, 1891. Verstorben 1919 an den Folgen der Gefangenschaft
Zur Post:
Diesen Brief, der im Original nicht erhalten ist, schrieb Alfred Runge aus der Kriegsgefangenschaft. Er informiert ausführlich über die Verhältnisse. Das Schreiben ist ungewöhnlich offen und sehr lang, sodass eine Fortsetzung folgt. „Mein Onkel lebte in Rechenberg-Bienenmühle, war vermutlich in einer Stuhltischlerei tätig, er war verheiratet und hatte einen Sohn“, sagt G. Runge, der der „Freien Presse“ den Brief zusandte.
Die Übertragung des Briefes wurde von der Familie Runge übernommen und bei der Veröffentlichung beibehalten.