Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen

Die Schornsteine von Krupp wurden zum Symbol der aufstrebenden deutschen Industrie im Kaiserreich

Foto:(Stadtbildstelle Essen)

Elefant terrible und ausgleichender Kanzler
 

von Christian Wolf

Vor 200 Jahren wurde Otto von Bismarck geboren. Er schuf mit dem Deutschen Reich den modernsten Staat seiner Zeit und brachte vorbildliche soziale Reformen auf den Weg, Und nicht zuletzt schenkte er seinem Land mit ausgeklügelter Bündnispolitik eine lange Friedensperiode.

Hätte es schon vor 170 Jahren Radio und Fernsehen gegeben, Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen hätte keine Chance gehabt, als größter Staatsmann des 19. Jahrhunderts die Geschichte zu prägen. Seine hohe Fistelstimme wäre ihm besonders in unserer selbstgefälligen „modernen Mediendemokratie“ zum Verhängnis geworden, zumal sie in so auffälligem Widerspruch zu seiner  hünenhaften Gestalt stand. Doch zu seiner Zeit konnte es ein Mann mit überragendem Geist, Mut und geschliffenen Worten an die Staatsspitze schaffen, da es noch nicht diesen verhängnisvollen Hang zur Mittelmäßigkeit gab, den seine heutige Nachfolgerin im Kanzleramt in Perfektion verkörpert. Bei ihr wird es kaum jemanden geben, der sich an ihre umständlichen und nichts sagenden Verlautbarungen erinnert. Bismarcks Reden dagegen haben stets elektrisiert, Aufmerksamkeit erregt und Diskussionen ausgelöst.

Blut und Eisen

Er war ein Meister des Wortes, unterschied in der Diplomatie zwischen „Geschickten“ und „Gesandten“. In einer Reichstagsrede am 6. Februar 1888 prägte er den Satz: „Wir Deutsche(n) fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt...“ Dies wird gern zitiert und eifrig als Beweis seiner kriegerischen Haltung interpretiert. Wobei natürlich der Rest seines Satzes unterschlagen werden muss: „... und diese Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt.“ Und weiter: „Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg immer als ein Übel, das die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muss.“ Spricht und denkt so ein Kriegstreiber? Wer Geschichte nach Hollywood-Manier als Märchen mit der Einteilung in Gut und Böse inhaliert, wird natürlich moralisch empört sein, wenn er Bismarcks Worte von 1862 hört; „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht, (…) nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, (…) sondern durch Blut und Eisen.“

 „Blut und Eisen!“ Pfui! Da ist das Diktum gefallen, das eindeutig gegen die Sprechverbote der geistig-moralisch Gerupften in Deutschland verstößt und Bismarck zum Enfant terrible mutieren lässt, das den Weg zu den Weltkriegen und zu Adolf Hitler gebahnt hat. So sehen das zumindest Carl Amery, Hans-Ulrich Wehler und andere vermeintliche Meisterdenker seit den 1970er Jahren. Wo Schubladendenken beliebt und Differenzierung verpönt ist, kann einer schillernden Persönlichkeit wie Bismarck kaum Gerechtigkeit widerfahren.

Im Unterschied zu den Linienrichtern der politischen Korrektheit weiß die Mehrheit der Deutschen auch heute noch ganz gut oder fühlt zumindest instinktiv, was wir Bismarck verdanken: Er war Volksheld, Gründungsvater und erster Kanzler des Deutschen Reiches. Er schuf den modernsten und erfolgreichsten Staat  seiner Zeit und brachte weltweit verbindliche soziale Reformen auf den Weg. Und nicht zuletzt schenkte er seinem Land mit ausgeklügelter Bündnispolitik eine lange Friedensperiode von 1871 bis 1914, während die anderen europäischen Mächte in Kriege verwickelt waren. Mehr als 40 Jahre dominierte Bismarck die Politik Berlins. An ihn reicht Napoleon Bonaparte nicht heran, der ja nur Zerstörung und ein eigenwilliges Verwaltungssystem hinterließ.

Junger Wilder, konservativer Reformer

Was sich leicht liest, war alles andere als leicht. Bismarck war eine schillernde Persönlichkeit, ein vorzüglicher Fechter, Choleriker, ein liebevoller Ehemann, zielstrebig und furchtlos, voller Humor und Wortgewalt, in jungen Jahren ein leidenschaftlicher Jäger, Duellant – und dem Alkohol zugetan.

Die Revolution von 1848 katapultiert den Landjunker Bismarck im Alter von 33 Jahren – er wurde am 1. April 1815 geboren – auf die politische Bühne. Er bekämpft die Aufrührer, Preußen ist ihm wichtig, nicht Deutschland, er will von seinem König regiert werden, nicht von Parlamenten. Ein erzreaktionärer Junker also? Damals ja, aber ein blitzgescheiter und lernfähiger. Er erkennt, dass die deutsche Nationalbewegung sich nicht mehr – wie durch Fürst Klemens von Metternich jahrzehntelang praktiziert – unterdrücken lässt.

Sein historisches Verdienst und Geniestreich besteht darin, das traditionelle Preußen selbst zum Katalysator der Einheit gemacht zu haben. Die Reichsgründung im Jahr 1871 ist dann auch keine – im Sinne von 1848 – revolutionäre, sondern eine, wie Bismarck selbst betont hat, „konservative Tat“, herbeigeführt durch den alten Obrigkeitsstaat. Preußen nimmt sich zurück, schafft Deutschland und vererbt dem neuen Nationalstaat seine Institutionen. „Diese Kaisergeburt war eine schwere“, schreibt Bismarck in einem Brief an seine Frau über die Kaiserproklamation in Versailles. Geburtswehen verspürt jedenfalls der preußische König Wilhelm I, der sich verzweifelt gegen seine – wie er es nannte - „Beförderung“ wehrt und seinem Kanzler am Vorabend in Versailles unter Tränen erklärt: „Morgen ist der traurigste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.“ Das Verhältnis zwischen Bismarck und Wilhelm I. entspricht zeitlebens dem einer alten Ehe, wobei der Kanzler die Hosen anhatte.

Obwohl die Außenpolitik für den Preußen mit seinem untrüglichen politischen Instinkt „höher als übrige“ steht, schafft er mit der Einführung der Sozialgesetze epochale Verbesserungen auch im Inneren. 1883 wird in einem ersten Gesetz die Krankenversicherung der Arbeiter geregelt – mit freier Arztwahl und einem Krankengeld (vom dritten Tag an bis höchstens 13 Wochen). 1884 folgt das Gesetz  über die Unfallversicherung und 1889 jenes zur Alters- und Invaliditätsversicherung. Die Sozialdemokraten kritisieren die Gesetze Bismarcks als „völlig unzureichend“, dabei ist es der Kanzler selbst, der ursprünglich den Arbeitern eigene Zuzahlungen zu den Versicherungen ersparen will. „Dennoch ist das Deutsche Reich mit dieser Sozialgesetzgebung allen anderen Staaten der Welt vorangeschritten und lange Zeit Vorbild gewesen“, resümiert auch das Universallexikon.

Krieg und Frieden  

Extremen Gegenwind erntete der „Eiserne Kanzler“ aus dem Ausland. Als Eroberer und Verantwortlicher für drei Kriege in sieben Jahren (1864 mit Dänemark, 1866 mit Österreich , 1870 mit Frankreich) wird er hingestellt. Dabei ist es zumindest 1870 eindeutig Napoleon III., der die militärische Auseinandersetzung will, er braucht „Gloire“, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, stellt immer weitergehende Forderungen und erklärt schließlich den Krieg. Ein Dorn im Auge ist der neue Koloss in Europas Mitte den Nachbarn, denn sie haben sich an drei Jahrhunderte deutsche Zersplitterung und Schwäche gewöhnt. Bismarck fragt sich bis ins hohe Alter, ob man auch ohne die drei Waffengänge zur Einigung hätte gelangen können. Emil Ludwig, dessen Bücher 1933 verboten wurden, schreibt in seiner berühmten Bismarck-Biografie: „Nie aber hat er Kriege um Eroberungen gemacht. (…) Er hatte das Glück, Kriege immer zu finden, wenn er sie brauchte, hat aber nie den Moment der Überlegenheit missbraucht, um zu siegen. 20 Jahre erhielt er die Ruhe Europas.“

Die gelingt Bismarck mit einer virtuosen und verzwickten Bündnispolitik, zu der auch Geheimverträge zählen. Er kreiert unter großen Mühen eine Situation, „in welcher alle Mächte außer Frankreich unserer bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden“. Besondere Beziehungen pflegt Bismarck bereits früh zu Russland, was zu einer Grundlage seiner erfolgreichen Friedenspolitik wird. In seiner Zeit als Gesandter in Sankt Petersburg (1859 bis 1862) nimmt er „Unterricht in der diplomatischen Kunst“ bei Außenminister Alexander Michailowitsch Gortschakow, darf sogar die  eingehende diplomatische Post lesen.

Für die ganze Welt war das von Bismarck geprägte Deutsche Reich ein Vorbild. Unsere Universitäten galten damals als die besten, lockten so die fähigsten Studenten des Auslands an. Der unerhörte wirtschaftliche Aufschwung brauchte nicht statistisch geschönt zu werden. In was für einem vertrauenswürdigen Staat unsere Vorfahren lebten, können sich die Untertanen Merkeldeutschlands kaum vorstellen. Keine deutsche Regierung hat das Recht so hoch geachtet wie die des Kaiserreichs, es gab geringe Steuern, klare Gesetze, eine unbestechliche und effiziente Verwaltung. Die Bürger zahlten mit Geld, das (so gut wie) Gold war. Der Reichskanzler war per Bankgesetz „jederzeit“ befugt, die Bücher, Kassenbestände und Geschäftsräume der Banken überprüfen zu lassen.

Otto von Bismarck, der bei mehreren Attentaten leicht verletzt wurde und als Kanzler nicht weniger als sechs Entlassungsgesuche einreichte, gibt uns den Trost und die Beruhigung, dass Deutschland auch brillante Politiker und Diplomaten hervorbringen kann. Schließen möchte ich mit einem Beispiel für die Wort- und Prognose-Kunst des Preußen: „Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung leider auf Deutschland beschränkt ist.“ Wir wahr, wie aktuell!   


Christian Wolf arbeitete als Wirtschaftsjournalist unter anderem für „Focus Money“ und lebt heute außerhalb Europas.


Bismarcks Zitatenschatz

„Es wird bei uns Deutschen mit wenig so viel Zeit totgeschlagen, wie mit Bier trinken.“

„Ich schreibe meinen Namen unter kein Gesetz, welches eine Belastung des Arbeiters enthält.“

„Ein Gedanke, der richtig ist, kann auf die Dauer nicht niedergelogen werden.“

„Ich will zu aktiver Beteiligung Deutschlands an den orientalischen Dingen nicht raten, solange ich darin kein Interesse sehe, das auch nur die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre.“

„Die Liebe der Türkei und Deutschen zueinander ist so alt, dass sie niemals zerbrechen wird.“

„Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik.“

„Am allermeisten achten wir die Meinung der uns seit einem Jahrhundert und noch heute intimsten unter den uns befreundeten Mächten, der russischen.“

 


Bismarck nach dem Ende seiner Amtszeit. Gemälde: Franz von Lenbach, 1894


Bismarck während der Kongokonferenz 1884/85. Quelle: Public domain, Wikimedia


Elf Milliarden Mark wendete die deutsche Sozialversicherung zwischen 1883 und 1913 auf – und stellte diese Leistung auch gerne zur Schau


Quelle: COMPACT, Magazin für Souveränität Ausgabe 4 / 2015

 


Abgetippt: Axel
Team Bunkersachsen 2015


 

 

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