Zum Erhalt der Deutschen Sprache

 

Vergessene Wörter

von Sebastian Henning

Seele

Das Grimmsche Wörterbuch befindet die ältere Vorstellung, das urgermanische Wort für Seele „saiwalo“ könne von See „saiwitz“ herrühren, für wenig wahrscheinlich. Doch wird gleich danach der Erzähler Gustav Freytag zitiert: „Bei dem Worte Seele sah der Deutsche noch das rastlose Wogen der bewegten See vor sich, welcher er die unablässig arbeitende Gewalt seines Inneren verglich.“ Die Dichtung hat eine andere Wirklichkeit als die etymologische Sprachforschung. Und der Reiz des Deutschen Wörterbuches besteht gerade in Berührungen und Überschneidungen.

Es hilft uns nicht weiter, das die katholische Kirche 1513 auf dem Laterankonzil die Unsterblichkeit der Seele als Glaubenswahrheit festhielt. Der Todeskampf galt seit je als ein Streit zwischen Leib und Seele. So sind Leib und Seele als klar aufeinander bezogene Gegenteile erkannt, die zusammen erst ein lebendiges Wesen ausmachen. Seele und Geist werden oft miteinander vermengt. Dabei ist die Seele nur die Triebkraft der Lebewesen. Sie gibt ihnen noch keine Richtung an. Dafür ist allein der Geist zuständig, der das aus Leib und Seele bestehende Menschenwesen lenkt. Der Geist unterscheidet es von den anderen Kreaturen, die auch eine Seele haben, aber keine Besinnung. Der lateinische Spruch, der noch über manchen alten Turnhalle geschrieben steht: „Mens sana in corpore sano“ bedeutet ja nicht, dass eine gesunde Seele (Anima) in einem gesunden Körper wohne, sondern ein gesunder Geist.

Eine „schöne Seele“ bezeichnet eine ausgeglichene Persönlichkeit. Man schlummert oder lächelt selig oder aber geht entseelt zu Boden. „Er ist eine Seele von einem Menschen“ oder „die gute Seele, solche Redensarten haben inzwischen den Beigeschmack von Herablassung gegenüber einer gutmütigen Person. „Ein Herz und eine Seele sein“ bedeutet, sich ohne weitere Übereinkunft einig zu sein. Die auf der Halbinsel Krim entrückte mykenische Königstochter sehnt sich nach Johann Wolfgang von Goethes Iphigenie auf Tauris zurück in die Heimat. „Und an dem Ufer steh' ich lange Tage, das Land der Griechen mit der Seele suchend.“ Bedrängt vom heiratslustigen König Thoas mangelte es ihr an der Seelenruhe, der ataraxia der Griechen. Der Neuepikuräer Seneca verfasste ein ganzes Buch über die Ausgeglichenheit der Seele. Und er bewies diese übermenschliche Gefasstheit zuletzt, indem er sich auf ein Todesurteil des Kaisers Nero hin selbst im Bade die Adern öffnete. Christoph Martin Wieland bezeichnet „die Art und Weise, wie unsere Seele mit ihrem Körper zusammenhängt“, als eines der Geheimnisse der Natur.  

Sebastian Hennig ist Kulturkritiker und Heimatfreund und lebt in Dresden.

Quelle: COMPACT, Magazin für Souveränität Ausgabe 3 / 2015





Vergessene Wörter

von Sebastian Henning

Freundschaft

Wenn wir dem Bedeutungswandel der Worte nachgehen, dann erfahren wir viel über die Veränderung unserer Verhältnisse zueinander. Besonders gilt das für das Wort Freundschaft. In den mitteldeutschen Epen wir Parzival und dem Nibelungenlied bedeutet die „Freundschaft“ sowohl Liebe als auch Verwandtschaft. Der Freundesbund wurde mit Eheschließungen zu Familienbanden vertieft. Liebe, Ehe und Freundschaft fielen im Idealfall zusammen. Der völlige Gegensatz zur „Freundschaft“ in den Netzwerken. Sie gleicht jener der Zechbrüder, die laut einem alten Sprichwort „im nassen dauert, als wie das Grünen der Maien“. Diese halten einander nur in der Betäubung durch geistige Getränke aus. Distanz durch den Bildschirm.

Freundschaft ist mehr als Kumpanei, Solidarität oder Kameradschaft. Aus dem Team, dem Arbeitskollektiv, kann sie wohl im Einzelfall erwachsen. Dafür muss sie sich vom Anlass ablösen und durch sich selbst bestehen. Insgesamt ist die Schicksalsgemeinschaft der Arbeitswelt zur Herausbildung haltbarer Freundschaften weniger geeignet, als der pure Zufall. Wer nur Kollegenfreundschaften hat, der läuft Gefahr, nach der Entlassung, Verrentung oder Geschäftsaufgabe einsam dazustehen. Selbst bei der verbreiteten Geselligkeit von Menschen, die über die Arbeitswelt hinaus gleiche Erfahrungen oder Interessen verbinden, kann selten von Freundschaft die Rede sein. Am Freund fesselt uns ja gerade das andere. Standesgrenzen und geistige Horizonte sollte die Freundschaft unbeeinflusst überragen, denn sie gilt dem inneren Wesen des anderen.

Lebenswege können Freunde zu unvereinbaren Haltungen führen, ohne dass sie sich darum entfreunden. Die Freundschaft kann ebenso in der Schonung des Freundes sich erweisen, wie im vorbehaltlosem Aüßern entgegengesetzter Ansichten. Diese werden um der Freundschaft  willen ausgehalten. Für Freundschaften muss man etwas tun. Gut ist es, Spielkameraden der Kindertage und einstige Klassenfreunde, wie weit auch der spätere Lebensweg auseinanderdriftet, im liebenden Blick zu behalten. Doch gelingt es den wenigsten, über die Entscheidung für den engsten Lebenspartner hinaus auch die Ur-Freundschaften über die Zeiten zu retten. Dabei ist doch gerade dieses freundschaftliche Umfeld, das ruhig auch exklusiv von einem der beiden Lebenspartner nebenbei geführt werden mag, der Garant für die Haltbarkeit des glücklichen Bundes von Mann und Frau. Früher gab es den Hausfreund, den „Cicisbeo“, der viele gefährlichen Launen der Hausfrau ableitete. Diese Art der Aufwertung der Freundschaft zur innigen Vertraulichkeit ist der Gegensatz zu jenem gleichgültigen „Wir können ja Freunde bleiben“, wenn die unerträgliche Nähe den Überdruss an der Liebesbeziehung herbeigeführt hat.

Das leichtfertige Reden von der Freundschaft ist eine neuartige Erscheinung. Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock war bereits skeptisch gegenüber die Bezeichnung „guter Freund“ und sah darin „Unreifes, etwas, das unvollendet geblieben ist“. Er stellte fest, „dass eher aus einem guten Bekannten ein Freund wird, als aus einem guten Freunde, der dies lange geblieben ist“.

Gleichrangige Fürsten unterschrieben ihre Briefe aneinander mit der Formel „Dero  freundwilliger“. Wer in der DDR die Schule besuchte, der grüßte vor Unterrichtsbeginn mit „Freundschaft“. Auch die Erdgastrasse aus Russland hieß „Druschba“. Trotz aller phrasenhaften Verwässerungen wird die echte Freundschaft überleben.
   

Sebastian Hennig ist Kulturkritiker und Heimatfreund und lebt in Dresden.

Quelle: COMPACT, Magazin für Souveränität Ausgabe 4 / 2015


 

Team Bunkersachsen 2015
 

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